Kreationismus

Kreationismus ist ein Teilaspekt des religiösen Fundamentalismus, sei er christlicher, jüdischer oder islamischer Natur. Kernthese dieses Fundamentalismus ist die absolute Irrtumsfreiheit der jeweiligen Heiligen Schriften, weil sie göttlichen Ursprungs seien. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der jeweiligen Verfasser sei aufgrund göttlicher Inspiration bedeutungslos. Alle Ergebnisse der Wissenschaft, die einem derartigen Textverständnis zu widersprechen scheinen, werden abgelehnt.

Der Kreationismus im speziellen ist bei uns vor allem als Ausprägung des christlichen Fundamentalismus bekannt, wie er sich in den USA weiter Verbreitung erfreut. Der Kreationismus hält dogmatisch an einer wörtlichen Auslegung des biblischen Schöpfungsberichts fest und begibt sich dadurch in einen fundamentalen Gegensatz zu grundlegenden Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften. Aufgrund der in der biblischen Genesis verzeichneten Ahnenreihen wird behauptet, die Erde und auch das Weltall seien erst wenige Tausend Jahre alt. Zahlreiche unabhängige geochronologische und astronomische Belege weisen aber eindeutig auf ein Erdalter von knapp 5 Milliarden Jahren und ein (rekonstruierbares) Alter des Universums von etwa 15 Milliarden Jahren hin. Die Bildung der Gebirge, der Ozeane, der Kohle- und Erzlagerstätten oder gar die Entstehung der Planeten und die Anreicherung von schweren Elementen in den Sternen lassen sich in so kurzen Zeiträumen, wie sie von Kreationisten in aller Regel behauptet werden, nicht auf natürliche Weise erklären. Hauptgegenstand kreationistischer Kritik ist jedoch die Evolutionstheorie und insbesondere die Abstammung des Menschen aus der Tierwelt.

Einige Kreationisten sind dabei bemüht, den Anschein zu erwecken, dass sie unliebsame Theorien nicht allein aus dogmatischen Gründen ablehnen: Sie glauben, sie könnten sie wissenschaftlich entkräften. Diese Richtung nennt sich daher "wissenschaftlicher Kreationismus". Der "wissenschaftliche" Kreationismus hat zwei Hauptanliegen, ein destruktives und ein "konstruktives". Das destruktive besteht insbesondere darin, Erklärungslücken und andere vermeintliche Defizite der Evolutionstheorie aufzudecken, um so deren Status als Zentraltheorie der Biologie zu schwächen. So wird etwa behauptet, die Evolutionstheorie könne die Entstehung qualitativer Neuheit nicht erklären. Das konstruktive Ziel besteht darin, eine über die Aussagen der Genesis hinausgehende Schöpfungstheorie zu entwickeln, die der Evolutionstheorie als Alternative mit angeblich größerer Erklärungskraft gegenübergestellt werden soll. Ähnliches gilt für eine Sintflutgeologie, die die uns bekannte Geologie ersetzen soll.

Eine mildere Form des Kreationismus sind die so genannten "Intelligent Design"-Theorien, die das Schöpfungsereignis weiter zurückverlegen und eine anschließende, mehr oder weniger stark göttlich gesteuerte Evolution zulassen.

Der vom Kreationismus angestrebte Paradigmenwechsel läuft also auf eine wissenschaftliche Konterrevolution hinaus—den verzweifelten Versuch, ein statisch-unveränderliches, geo- und anthropozentrisches, auf religiösen Dogmen beruhendes Weltbild wieder zu errichten, das unabhängige wissenschaftliche Forschung nicht zulässt. Der Kreationismus ist mit anderen Worten eine Form der Geschichtsleugnung und des historischen Revisionismus.

Auch die großen christlichen Kirchen lehnen heute den Kreationismus ab. Gerade die Erkenntnisse der historisch-kritischen Forschung, wie sie an den Universitäten gelehrt werden, stellen starke Gegenargumente zum religiösen Fundamentalismus dar: Sie verweisen auf die zeitgeschichtliche Bedingtheit Heiliger Schriften und deren Verfasser und eröffnen so ein wissenschaftlich begründetes Verständnis ihres Ursprungs und ihrer Inhalte.

Literatur:

  • Mahner, Martin (1986) Kreationismus - Inhalt und Struktur antievolutionistischer Argumentation. Berlin: Pädagogisches Zentrum.
  • Mahner, Martin (1989) Warum eine Schöpfungstheorie nicht wissenschaftlich sein kann. Praxis der Naturwissenschaften - Biologie 38(8): 33-36.
  • Mahner, Martin (1990) "Wissenschaftlicher Kreationismus": Eine Pseudowissenschaft mit religiösem Hintergrund. In: Skeptiker 3, S. 15.
  • Mahner, Martin (2007)Intelligent Design und der teleologische Gottesbeweis. In: U. Kutschera (Hg.) Kreationismus in Deutschland. Lit-Verlag, Münster; S. 340-351.
  • Jeßberger, R. (1990) Kreationismus - Kritik des modernen Antievolutionismus. Biologie und Evolution interdisziplinär. Berlin.
  • Shermer, Michael (1997) Confronting Creationists - Twenty-five Creationist Arguments, Twenty-five Evolutionist Answers, S. 137 - 153, in: Shermer, Michael (1997) Why people believe weird things - Pseudoscience, Superstition, and other confusions of our time. New York.
  • Shermer, Michael (1997) Science Defended, Science Defined - Evolution and Creationism at the Supreme Court, S. 154 - 172. In: Shermer, Michael (1997) Why people believe weird things - Pseudoscience, Superstition, and other confusions of our time. New York.
  • Pössel, Markus (2000) Kapitel 3 - Evolution und Kreationismus, S. 102 - 223. In: Pössel, Markus (2000) Phantastische Wissenschaft - Über Erich von Däniken und Johannes von Buttlar. Reinbek.
  • Arthur, Joyce (1996) Creationism - Bad Science or immoral Pseudoscience?. In: Skeptic Volume 4/No. 4, S. 88 - 93.
  • Shermer, Michael (1996) Why Creationists fear Evolution. In: Skeptic Volume 4/No. 2, S. 88 - 100.
  • Shermer, Michael (1998) Do you believe in God? - The Difference in your Answer & the Difference it makes. In: Skeptic Volume 6/No. 2, S. 74 - 79.
  • Special Section (2001) Intelligent Design: The new Creationism in Skeptic Volume 8, No. 3:
    Infos unter http://www.skeptic.de/b/0080.php4

  • Waschke, Thomas (2003) Intelligent Design: Eine Alternative zur naturalistischen Wissenschaft?. In: Skeptiker Heft 4, S. 128 - 137.
  • Lippard, Jim (1993) Will Creationists Abandon Creation -"Science"? In: Skeptic Volume 2/No. 1, S. 86-88.
  • Stephen Jay Gould (1996) - An Urchin In A Haystack - An Interview by Michael Shermer. In: Skeptic Volume 4/No. 1, S. 86-90.
  • Kotthaus, Jochem (2003) Die Evolution des Kreationismus: Über die Relevanz von Schöpfungslehre unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen. In: Skeptiker Heft 4, S. 140 - 144.

Linktipps:


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